Artikel aus dem Oster-INFO 24

Wir leben in gesellschaftlich recht aufgeregten Zeiten – gemeinsam sind wir stark!

Als ich im August 2023 die Schulleitung übernommen habe, ist mit mir eine politisch motivierte Sonderpädagogin ins Korczak-Haus gekommen. Nicht Politik in Form von Parteienzugehörigkeit und auch nicht nur interessiert an Tagespolitik, sondern eine Person, die seit vielen Jahren Gesellschaftshistorisches und Politikgeschichte im Hinblick auf Sonderpädagogik durchdringt und Schlüsse auf die Gegenwart zieht.

Das Thema 3. Reich, Holocaust und insbesondere das Thema der sogenannten Euthanasie beschäftigt mich seit sehr vielen Jahren, eigentlich seit meiner frühesten Jugend.

Als Schwester eines Bruders mit einer geistigen Behinderung wurde mir sehr früh bewusst, hätte er und unsere Familie in dieser anderen Zeit gelebt, wären wir vermutlich direkt betroffen gewesen. Mein Bruder wäre recht sicher ermordet worden, staatlich organisiert, einzig aufgrund seiner Behinderung.

Durch ein breitgefächertes Studium zahlreicher Bücher über dieses Thema von Ernst Klee über Götz Aly bis zur Literatur von betroffenen Angehörigen verfolgter Menschen habe ich mir im Laufe der Zeit ein breites Wissen erarbeitet. An einem bestimmten Punkt stellte sich für mich die Frage, was mache ich nun damit.

In meinem Studium der Sonderpädagogik, das nun schon 25 Jahre her ist, war das Thema der sogenannten Euthanasie kein Thema. Auch vorherige Arbeitgeber der Behindertenhilfe wollten zu diesem Thema eher nichts wissen. Erst im Rahmen meiner Bewerbung hier am Korczak-Haus Freiburg wurde das Thema wohlwollend aufgegriffen und somit war von Anfang an bekannt, mit welchen Themen ich mich beruflich und privat auseinandersetze und damit und vielleicht ein wenig auch deshalb, wurde ich die neue Schulleitung hier im Haus.

Für mich ist ganz klar, als Sonderpädagogin kann ich dieses private Interesse und meinen Beruf nicht voneinander trennen.

Ich stehe als Sonderpädagogin und jetzt als Schulleitung für eine bestimmte Ausrichtung der päd. Arbeit und vertrete diese nach innen und außen. Dazu gehört selbstverständlich auch das Wissen, wie sich die Sonderpädagogik in Deutschland und anderen Ländern entwickelt hat und was sich im ersten Teil des 20. Jahrhunderts in Deutschland grausames ereignet hat. Wissen ist immer wichtig für ein fundiertes Argumentieren z.B. auch gegenüber den Verfechtern für die Abschaffung aller Sonderschulen und Inklusion, als alleinig richtigem Weg. Und es geht immer um eine eindeutige Positionierung gegenüber dem rechten Parteienspektrum, die die Bildung und Förderung von Kindern mit Behinderung insgesamt in Frage stellt. Das Infragestellen von Kosten und Nutzen in der Bildung ist immer der erste Weg zur Aussonderung, das lehrt uns die Geschichte.

Ich vertrete Ihre Kinder und auch Sie, die Familien und auch euch die Mitarbeitenden des Korczak-Hauses. Vertretung für … ist immer auch politisch, gesellschaftsrelevant.

Im letzten Herbst fuhren die Mitarbeitenden im Rahmen ihres jährlich stattfinden Mitarbeitendenausflugs zusammen nach Grafeneck und beschäftigten sich dort mit den Morden an Menschen mit geistigen und psychischen Behinderungen. Das war kein gewöhnlicher Ausflug in den Biergarten oder zum Paddeln sondern ein sehr intensiver Tag mit einem sehr ernsten und sehr traurigem Thema, ganz im Andenken an Janusz Korczak, der in Treblinka ermordet wurde und, das ist nicht unwichtig, von Personen, die in Grafeneck ihr Handwerk gelernt haben.

Die Kolleginnen und Kollegen wählten diesen Ort für einen gemeinsamen Ausflug um sich ihrer Geschichte bewusst zu werden. Ich bin über diese Haltung der Mitarbeitenden im Höchsten beeindruckt. Dies habe ich in meiner langen Berufstätigkeit noch nie erlebt.

In der Vorbereitung des Besuchs der Tötungsanstalt, der gemeinsamen Einführung in der ersten Lehrerkonferenz nach den Sommerferien, vielen unterschiedlichen Gesprächen und der Nachbereitung haben wir uns im Team näher kennenlernen dürfen und es wurde recht schnell ein gemeinsamer Wunsch nach weiteren politischen Aktivitäten formuliert. Ich freue mich über dieses Engagement und unterstütze es breit.

Wir leben momentan in politisch sehr unruhigen Zeiten.

In den letzten Monaten wurden weitere Aktivitäten und Pläne des rechten Parteienspektrums der breiten Öffentlichkeit bekannt. Auch dies wurde unter uns Kolleginnen und Kollegen intensiv diskutiert und besprochen. Dieses Gedankengut ist nicht neu. Schon vor fünf Jahren gab es eine Anfrage der AfD im Landtag Baden Württemberg zu der Anzahl behinderter Kinder in Familien mit Migrationshintergrund. Immer geht es um Ausgrenzung, die gegen die anderen, wer ist deutsch und wer gehört dazu? Das ist das altbekannte Muster und immer der erste Schritt!

Der Wunsch der Kolleginnen und Kollegen im Korczak-Haus nach politischer Aktivität wächst weiter. Allen ist klar, man muss handeln, insbesondere als Einrichtung, für besonders zu schützende Menschen. Wir müssen sichtbar werden und wir müssen unsere Stimme erheben! Der Vorstand des Hauses steht hinter uns:

Ganz im Sinne der neuen Kampagne großer Medienhäuser:

                        #ZUSAMMENLAND – Vielfalt macht uns stark!

Verschiedene Printmedien, 500 Unternehmen, Stiftungen und Verbände setzen ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und bekennen sich zu Freiheit, Vielfalt und einer Willkommenskultur. „Wir brauchen keine Alternative zur Freiheit und Vielfalt.“

„Weltoffenheit, Respekt und Gemeinschaft sind Werte, die Deutschland nicht nur zu einem lebenswerten, sondern auch zu einem wirtschaftlich starken Land machen. Deshalb stehen wir zusammen für ein offenes Land, das sich Schwierigkeiten mutig stellt.“

In diesem Sinne werden wir uns im Korczak-Haus politisch engagieren und Werte wie Gemeinschaft, Respekt und Weltoffenheit gemeinsam leben und weiterhin eine offene, inklusive Gesellschaft für unsere Schülerinnen und Schüler und Familien einfordern.

·      Das Haus ist offen für alle Vertreter der Politik und wir suchen aktiv den Kontakt und das Gespräch, außer mit der AfD!

·      Kolleginnen und Kollegen vernetzen sich und tauschen sich aus über Termine für Demonstrationen für Toleranz, Demokratie und Vielfalt und besuchen gemeinsam Kundgebungen und zeigen dort Gesicht.

·      Im Bildungsplan für das SBBZ Geistige Entwicklung steht unter Leitgedanken zum sozialen und gesellschaftlichen Leben: „Das Le­ben in der Schul- und Klas­sen­ge­mein­schaft ist von der be­wuss­ten Wahr­neh­mung des An­de­ren auch in sei­nem An­ders­sein so­wie der kon­struk­ti­ven Be­ar­bei­tung von Dif­fe­ren­zen ge­prägt. Die Schule trägt dazu bei, dass die Schülerinnen und Schüler in einer pluralisierten Gesellschaft lernen, mit Menschen mit unterschiedlichen sozialen, religiösen, ethnischen und nationalen Hintergründen in verschiedenen Situationen zusammenleben und ihre individuelle Verschiedenheit angemessen zu achten“.

Dies wird im Unterricht, in Fächern wie Geschichte, Gemeinschaftskunde und Sachkunde ganz praktisch umgesetzt. Es werden z.B. Plakate für Demokratie-Spaziergänge im Unterricht hergestellt und durch Teilnahme an Demonstrationen Demokratie gemeinsam erlebt. 

Das Korczak-Haus Freiburg war schon immer politisch aktiv und wird es mit mir weiterhin sein.

März 2024                           Ulrike Steffen